Souvenir

Der einundzwanzigste Tag, 21. August 1991

Ein Miccosoukee, etwa in unserem Alter, beobachet, wie wir auf der Suche nach Exotischem uns Informationsblätter über seinen Stamm im Info-Center zusammenstellen. Nach einer Weile nimmt er seine schwarze Sonnenbrille ab, streicht sein langes Haar zurück hinter die Schultern. Ob wir mehr über seinen Stamm wissen wollen? Woher wir denn kämen. Aus dem Süden von Deutschland. Ah ja. In Stuttgart war er einmal auf der Touristikmesse – Stuttgart ist doch im Süden? Deutschland war ganz schön, ja, doch. So alt, er hat da einige hübsche Städte gesehen. Ob wir schon das Dorf gesehen haben? Dann würde er es noch empfehlen. Sein Leute wollten die Touristen nur im alten Dorf, im neuen gäbe es eh nichts besonderes zu sehen. Oder ob wir etwa damit einverstanden wären, wenn Touristen in unsere Wohnzimmer schauten und uns beim Essen zusähen? – Na also. Das ganze Museum ist historisch, es ist das alte Dorf, da ist er noch aufgewachsen. Doch dann haben sie sich ein neues gebaut. Sie leben jetzt moderner: Strom, fließend Wasser, Fernseher etc. Also wirklich nichts, das man sich heute unbedingt ansehen müßte. Das Haupteinkommen des Stammes rührt aus dem Museumsdorf. Es gibt gebildetete, studierte Miccosoukees. Sie unterrichten sich selbst, in ihrer Sprache und in Englisch. Sie sind ziemlich eigenständig und selbstbewußt, lassen sich von keiner Regierung reinreden. Ein paar vom Stamm arbeiten im Museum: die Frauen nähen Patchwork auf Singer-Nähmaschinen, wir könnten uns auch ein Alligatoren-Wrestling ansehen. Sie haben ein Basin mit ein paar kleinen und großen Alligatoren, jede Stunde eine Show. Ein extra Museum und ein Video informieren zusätzlich über das Leben der Indianer in den Everglades, damals. Noch etwas weiter die Straße entlang ist ein Bootsverleih. Luftkissenboote mit speziellen Touren. Alles in allem, sie sind ziemlich selbständig und darauf sind sie stolz. Wir können uns ja mal umsehen. Have fun!

Im Souvenirladen gefallen mir einige Rucksäcke, Ponchos und Pullover. Hätte ich nicht an Caro denken müssen, die in Katmandu einen Rucksack kaufte, den sie später im Augsburger Dritte-Welt-Laden wiedersah, hätte ich wohl etwas mitgenommen. Ich denke an die Erinnerung, die ich damit verknüpfen würde – es wäre eine an diesen Souvenirladen, an die Frauen, die es für die Touristen, nicht jedoch für sich selbst nähen, an den mageren Alligator-Wrestler, der dem Vieh das Maul für uns aufriß, an das neue Dorf, das wir übersehen hätten, wären wir nicht aufgrund der Schilderung neugierig geworden. Es wäre eine Erinnerung anmich als Touristin und unverbindlicher Zaungast eines für mich konservierten Lebens. An eine vom Asphalt durchschnittene Wildnis, an überfahrene, an den Straßenrand geschleuderte Waschbären. An das Gefühl, nicht hierher zu gehören. Ich fühle mich wohler bei dem Gedanken, diese Dinge zu Hause kaufen zu können – meinetwegen zu einem angeblich überteuerten Preis. Ich denke: sie stellen ihre Kultur zur Schau, sie haben ihr Eigenes konserviert und damit aufgegeben. Jedoch meine Melancholie ist schon ein Verrat am Mitleid. Einverleibt in den amerikanischen Markt, hat ihre Kultur ihren Duft verloren, den ich nie gekannt habe und dennoch vermisse. Diese Sehnsucht nach Unverdorbenem, Ursprünglichem hat sie jedoch erst zum exotischen Souvenir gemacht. Ich wünsche mir die alten Zeiten herbei, in denen ich als ethnologische Dilettantin gekommen wäre, traurige Tropen beschwörend.