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Vorschlag zur Güte

Fefe hat kürzlich ja mehrere Dilemmata beschrieben, die dafür sorgen, dass es in der Openleaks-versus-Wikileaks-Geschichte nicht vorangeht. Die angekündigten Schlüssel– und Datenlöschungen sind natürlich die unglücklichsten Lösungen. Sie sollen Vertrauen herstellen, gehen aber wiederum mit weiterem Vertrauensverlust einher, so paradox dies auch sein mag.

Eine elegante Lösung bestünde darin:

  • Openleaks poliert sein System so lange auf, bis es eine akzeptable Sicherheit erreicht,
  • Openleaks veröffentlicht den Code dafür als Open-Source-Code,
  • Wikileask übernimmt den Code und hat damit wieder ein funktionierendes System,
  • Daniel Domscheit-Berg übergibt alles an Julian Assange, da er dem System nun trauen kann.

Die Frage ist nur, ob das naiv ist. Aber im Sinne der Whistleblower-Community wäre es auf jeden Fall. Denn auch andere Plattformen, die sich auf bestimmte Interessensgruppen spezialisiert haben, könnten davon profitieren. Sie müssten sich nur ein wenig mit der Programmiersprache Erlang auseinandersetzen.

Update: Hier ein Kommentar des Anwalts von Domscheit-Berg: Wie tragisch war das Löschen der WikiLeaks-Dateien wirklich?

Republikaner hält Wikileaks für ungefährlich

Der republikanische, der Tea-Party-Bewegung nahe stehende Abgeordnete Ron Paul bezeichnete im Dezember 2010 Julian Assange für einen „Publisher“, das Vorgehen gegen Wikileaks sei ein überlegtes Vorgehen der Regierung, um das Internet „zuzumachen“. Mehr Leute seien aufgrund der Lügen der Regierung in der Außenpolitik gestorben als durch Wikileaks oder die Pentagon Papers.

Und hier bezeichnet er Bradley Manning indirekt als wahren Patrioten und Helden und entlarvt noch einige außenpolitische Mythen – mit zahllosen Seitenhieben gegen die CIA:

Amnesty International spricht von Wikileaks als Katalysator in der arabischen Revolution

In Großbritannien hat Amnesty International seinen Jahresbericht 2010 vorgestellt und schreibt darin Wikileaks eine Katalysatoren-Rolle in der arabischen Revolution zu. Julian Assange hatte dies bereits Anfang April in einem Interview mit „The Hindu“ behauptet. Der Bericht ist online noch nicht verfügbar. Zitiert wird im Guardian der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty:

„The year 2010 may well be remembered as a watershed year when activists and journalists used new technology to speak truth to power and, in so doing, pushed for greater respect for human rights.“  (…) „It is also the year when repressive governments faced the real possibility that their days were numbered.“

Über die Wikileaks-Enthüllungen sagt er:

„It took old-fashioned newspaper reporters and political analysts to trawl through the raw data, analyse it, and identify evidence of crimes and violations contained in those documents.“

„Leveraging this information, political activists used other new communications tools now easily available on mobile phones and on social networking sites to bring people to the streets to demand accountability.“

Interessanterweise ist in der deutschen Pressemitteilung zum Jahresbericht von Wikileaks keine Rede.

Die Rolle von Wikileaks ist umstritten – und die Frage der wohlfeilen Geschichtsklitterung steht im Raum. In der Diskussion in den letzten Monaten ging vor allem darum, welchen Anteil die Enthüllungen an den Aufständen in Tunesien hatten. Jilian C. York von der EFF schrieb im Januar skeptisch:

By all Tunisian accounts, WikiLeaks had little–if anything–to do with the protests; rather, the protests were spurred by unemployment and economic woes.  Furthermore, Tunisians have been documenting abuses by the Ben Ali regime and the first family for years, as Zuckerman notes.  In fact,  Dickinson seems to realize this herself, and yet for some reason still attempts to argue that WikiLeaks was a catalyst in the unrest.

York bezieht sich mit ihrer Kritik auf einen Pro-Wikileaks-Beitrag von Elizabeth Dickinson in Foreign Policy. Sie schrieb:

WikiLeaks acted as a catalyst: both a trigger and a tool for political outcry.

(…) the details noted in the cables — for example, the fact that the first lady may have made massive profits off a private school — stirred things up. Matters got worse, not better (as surely the government hoped), when WikiLeaks was blocked by the authorities and started seeking out dissidents and activists on social networking sites.

Jewgeni Morosow zeigte sich, was die Wirkung von Social Media anbelangt, in Foreign Policy ebenfalls skeptisch, legte jedoch einen an den Massenmedien orientierten Erfolgsmaßstab an – und ignorierte Wikileaks:

What strikes me about events in Tunisia is that social media seems to have failed in what many of us thought would be its greatest contribution (outside of social mobilization) – that is in helping to generate and shape the coverage of events in the mainstream media. On the contrary, despite all the buzz on Twitter it took four weeks to get the events in Tunisia on the front pages of major newspapers, at least here in the US (the situation in Europe was somewhat better – and it was way better in the Middle East – for all the obvious reasons).

Andrew Sullivan fand Jewgeni Morosows Ansichten in seinem The Atlantic-Blogbeitrag etwas merkwürdig.

This is an odd standard. The core test is whether Twitter and online activism helped organize protests. It appears they did, even through government censorship. Wikileaks also clearly helped.

In einem Gespräch mit dem Montagsradio äußert sich Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik über Wikileaks ab 52:00. El Difraoui sagt, er habe ein gemischtes Gefühl gegenüber Wikileaks, da Diplomaten auch Tacheles reden dürften. Man hätte auch vieles schon erahnen können, was aus den Depeschen herauskommt. In Sachen Tunesien fände er Wikileaks aber „einfach super toll“. Das tunesische Volk hätte es schon immer geahnt, aber keiner hätte es fest machen können. Vormals „vage Behauptungen“ wurden jetzt aber auf einmal „von hochoffizieller Seite bestätigt“, wie korrupt die herrschende Elite ist. Konkret ging es um die McDonalds-Konzessionen. Ben Ali wollte McDonalds nicht in Tunesien, da es so ungesund sei. Bei diesen Hindernissen müsse man gut überlegen, wen man schmieren müsste, um die Konzessionen zu erhalten. El Difraoui glaubt, dass auch Enthüllungen über saudische Prinzen kritisch werden könnten. Bahrain mit seiner unterdrückten schiitischen Mehrheit sei ebenfalls in einer labilen Position.

Es gibt auch die Position, dass es vor allem die Selbstverbrennung des jungen Obsthändlers Mohamed Bouazizi war, die die tunesische Revolution ausgelöst hat, dass es die drückende Verteilungsungerechtigkeit innerhalb des Landes war. Meiner Wahrnehmung nach war dies auch in Al Jazeera und anderen arabischen Medien wichtiger, die Depeschen wurden in den ersten Wochen nicht in dem Maße zitiert. Eric Schlechter schreibt auf der Website des Carnegie Council:

„People have known about the corruption for two decades, and certainly knew much more than was in WikiLeaks,“ says Taoufiq Ben-Amor, an Arabic Studies lecturer at Columbia University. „What triggered this really is a young man who set himself ablaze, and 23 years of oppression and corruption.“

(…)

Now, to be fair, the WikiLeaks cable release did precede the Tunisian protests by a little over a week. And as events unfolded, Qaddafi—soon to face demonstrations against his own regime in neighboring Libya—blamed the pro-transparency group for stirring things up.

Schlechter denkt, dass der Guardian einen wesentlichen Anteil daran hat, dass Wikileaks im Rückblick eine große Rolle zugeschrieben wird:

As proof, the British paper cites the observations of an unidentified activist, who writes the following on an opposition website: „And then, WikiLeaks reveals what everyone was whispering. And then, a young man immolates himself. And then, 20 Tunisians are killed in one day.“

Bis heute gibt es jedoch keinen Beleg dafür, dass Bouazizi die Wikileaks-Depeschen gekannt hat. Angesichts der kurzen Vorlaufzeit sowie der digitalen Kluft in Tunesien ist das eher unwahrscheinlich. Auch gibt es die bislang unbelegte These, dass die führende Klasse den Depeschen entnehmen konnte, dass die USA das Regime nicht grenzenlos unterstützen würden.

Schlechter führt dafür ein anderes Beispiel aus Zimbabwe an, in dem der Einfluss von Wikileaks bzw. des Guardian wirklich eindeutig ist:

On December 8, TheGuardian published another scandalous diplomatic cable obtained by WikiLeaks. This one revealed that Prime Minister Morgan Tsvangirai, leader of the Zimbabwean democratic opposition, secretly endorsed sanctions against his own nation in order to force strongman Robert Mugabe to share political power.

Needless to say, the Mugabe-led government went after Tsvangirai, who had already been arrested many times before. On December 26, the attorney general launched an inquiry of the prime minister, the charge: treason. Writing in The AtlanticChristopher Albon has said that it is unlikely that Tsvangirai will be convicted, but the leaked cable is a definite setback for democratic forces in the country.

Sicherlich hat Wikileaks eine gewisse Wirkung, da die arabischen Medien die Depeschen für ihre Berichterstattung verwendet haben. Das Vorbild Wikileaks könnte in Ägypten auch Bürger ermutigt haben, Dokumente, die im Staatssicherheitsministerium erbeutet wurden, im Netz, u.a. auf Facebook, zu veröffentlichen. Unbestritten ist, dass Dinge enthüllt wurden, die bislang nur geahnt wurden. Und dass diese Transparenz nach Jahrzehnten der manipulierten Presse etwas befreiendes hatte. Der Begriff des „Katalysators“ ist vielleicht daher richtig, der des „Auslösers“ aber falsch.

Auf dem Weg zur Leaking-Kultur?

Mirjam Bunjes hat sich den Upload-Bereich der WAZ näher angesehen.  Die Ausbeute scheint gut zu sein:

Mehr als die Hälfte der hochgeladenen Informationen sind unbrauchbar. (…) Aus der anderen Hälfte werden Geschichten, die es ohne den anonymen Platz im Netz vielleicht nicht gegeben hätte.

Sie hat auch mit Caja Thimm gesprochen, die  einen Trend erkennt:

„Es entsteht zur Zeit eine Leaking-Kultur in Deutschland und die findet viel im Internet statt. Es gibt immer mehr Whistleblower – und zwar vor allem solche, die Brisantes aus der Arbeitswelt berichten.“ Informationen aus Betrieben, Behörden, Gewerkschaften. „Das ist ein Zeichen wachsender Partizipation.“

Wikileaks-Vertraulichkeitsvereinbarung geleakt

WL Central berichtet, dass die Vertraulichkeitsvereinbarung, die Wikileaks mit Dritten getroffen hat, geleakt (PDF) und vom New Statesman veröffentlicht wurde. Der Aufreger besteht darin, dass Wikileaks sich darin als Eigentümer („owner“) der geleakten Dokumente bezeichnet. Während der New Statements „owner“ im Sinne von Eigentümer interpretiert und darin ein kommerzielles Eigeninteresse bewiesen sieht, begreift WL Central „owner“ als Besitzer und sieht daher keinen Skandal. Gleichwohl ist von „property“ (und später von „posession“) die Rede.

Bemerkenswert ist außerdem, dass die Vereinbarung

  • vom Verkauf („sell“) der Informationen spricht,
  • „Reputationsverlust“ („loss of reputation“) als Schadensfall sieht.
  • den Verlust des Informationswerts („value of thes information“) thematisiert (was sollte das sein?).
  • auf den „Nachrichtenwert“ („newsworthy“) abhebt.

Ich frage mich auch, ob dieses NDA nicht einen Vertrag darstellt … (und ob der Spiegel nicht etwa doch einen Vertrag mit Wikileaks geschlossen hat). Jedenfalls wird vertraglich ausgeschlossen, dass über die Arbeitsweise von Wikileaks berichtet wird. Falls der Spiegel, der Guardian und die New York Times dieses NDA unterschrieben haben (was ich nicht glaube, da jeder Jurist davon abraten müsste), hätten sie mit ihren Buchveröffentlichungen vermutlich verstoßen, da jede Publikation mit WL abgesprochen werden sollte. Daniel Domscheit-Berg deutete in seinem Buch an, dass Verschwiegenheit vereinbart worden war.

Interessant ist jedenfalls, dass „bedeutsame Vertragsbrüche“ mit einer Strafe von bis zu 12 Mio brit. Pfund geahndet werden sollen. Und dass die britische Jurisdiktion mit ihrem drakonischen Libel-Recht zum Anschlag kommen soll. Aber auch, dass Wikileaks bis heute davon nicht Gebrauch gemacht hat (siehe dazu auch WL Central, die das NDA als wenig dramatisch beurteilt).

Der New Statesman interpretiert das NDA übrigens dahingehend, dass es mit Wikileaks-Mitarbeitern getroffen wurde. Er schreibt:

On the basis of this legal gag alone, it would be fair to take the view that WikiLeaks is nothing other a highly commercially charged enterprise, seeking to protect and maximise its earnings from selling information that has been leaked to it. If so, WikiLeaks is nothing other than a business.

One suspects that the various brave and well-intentioned people who have provided the leaked information would be quite unaware of – and perhaps horrified by – the express commercial intentions of WikiLeaks, as evidenced by this document.

Das NDA könnte aber auch Verlage betreffen. Jedenfalls zielt es nach Interpretation von WL Central auch auf den Schutz der Einreicher ab – hier nochmal WL Central mit einer konträren Einschätzung:

WikiLeaks is an organization that makes a promise to whistleblowers that if they have the courage to act as a “hero” WikiLeaks will have the courage to be “merely decent human beings.” For WikiLeaks, this agreement is part of being a decent human being. It is about going to the nth degree to protect the “sources” it fights to keep anonymous and unknown to governments that could strike at them for providing the organization information.