Presserat-Beschwerde in der Sache Wikileaks

Ich habe heute eine Beschwerde beim Deutschen Presserat gegen den “Spiegel” eingereicht. Meiner Ansicht nach verstoßen seine Artikel, die sich auf die von Wikileaks dem Spiegel zur Verfügung gestellten 251 287 Depeschen des U.S. State Department beziehen, gegen die Richtlinie 1.1 des Presserat-Kodex’.

Diese Dokumente wurden seit dem 29.11.2010 täglich in einer Auswahl auf der Website von Wikileaks und entsprechend auch auf der Website des Spiegel veröffentlicht. Veröffentlicht wurden bislang in der Regel Dokumente, die von den Redaktionen des “Spiegel”, der “New York Times”, des “Guardian”, von “El Pais” und “Le Monde” bereits ausgewertet und über die diese bereits berichtet hatten. Die besagten Redaktionen erhielten damit für ihren Verbreitungsraum einen exklusiven Zutritt zu den Materialien.

Am 12.12. wurden erst 1 344 Depeschen veröffentlicht. Die Redaktionen werden daher – das gegenwärtige Veröffentlichungstempo vorausgesetzt – über Monate hinweg einen exklusiven Zugang zu dem Hauptteil des Materials haben. Dabei scheinen sie sich, was den zeitlichen Zusammenhang von veröffentlichten Artikeln und ausgesuchten Depeschen anbelangt, abzusprechen.

Für den deutschsprachigen Raum verfügt “Der Spiegel” über einen exklusiven Zugang zu dem Gesamtpool der Depeschen. Andere Redaktionen und freie Journalisten können mangels Zugang die Depeschen nicht nach eigenen Kriterien erschließen und sich kein eigenes Bild verschaffen. “Der Spiegel” ist somit in der Lage über einen langen Zeitraum hinweg Agenda-Setting zu betreiben.

Halten die besagten Verlage sich nicht an Abmachungen mit Wikileaks wie Sperrfristen, soll sich dies negativ auf die weitere Kooperation auswirken, wie vielfach berichtet (etwa hier) wurde. Insofern ist mindestens von einem mündlich vereinbarten Exklusivvertrag auszugehen.

Laut Richtlinie 1.1 des Pressekodex’ darf die “Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorgänge oder Ereignisse, die für die Meinungs- und Willensbildung wesentlich sind”, “nicht durch Exklusivverträge mit den Informanten oder durch deren Abschirmung eingeschränkt oder verhindert werden”. Denn damit schließe derjenige, der “ein Informationsmonopol anstrebt”, “die übrige Presse von der Beschaffung von Nachrichten dieser Bedeutung aus und behindert damit die Informationsfreiheit.”

Dies sehe ich im Fall der Kooperation des “Spiegel” mit Wikileaks gegeben.

Nachtrag vom 14.12.2010: Noch etwas Hintergrund zur Beschwerde bei den Netzpiloten.