Koeppen

Der zehnte Tag, 10. August 1991

Das Autoradio läßt sich nur auf orchestrierte Evergreens und deutsche Klassik einstellen. Cape Cod gibt sich gediegen. Einen Weg zu einem anderen Strandabschnitt gesucht. Willkürlich biegen wir vom Highway in eine Seitenstraße ein. Nach einigen hundert Metern geht es nur noch auf einem schmalen einspurigen Feldweg über befestigtes Sumpfgebiet weiter:

Eine schmale Holzbohlenbrücke hoch, oben angehalten und auf einer Seite ausgestiegen. Dunkles Wasser zieht sich leicht gekräuselt in die Bucht hinein. Lange, schmale Grasbüschel polstern ihre Arme aus. Langsam wieder hinunter gefahren. Der Blick geht weit über Grasland und blaubraun durchsichtiges Wasser. Auf einigen Sanddünen liegen Strandvillen, von Pinien und kleinwüchsigen Kiefern versteckt. Wurzelbefestigte Pisten führen im Irrwald von Haus zu Haus. „Koeppen“ heißt es auf einem Schild. Der Koeppen meines Buches? Nach einigen langsamen Metern wird es flacher. Eine Kurve eröffnet den Blick auf unberührten Muschelstrand.

Am nächsten Tag machen wir bei Koeppen kurz halt. Es ist mir zwar peinlich, doch möchte ich mich vergewissern. Eigentlich eine Zumutung Will ich ihm etwa sagen, wie sehr mir seine „Amerikafahrt“ gefällt? Daß es das einzige Buch ist, das ich auf der Fahrt dabei habe? Daß seine Fahrt zwar schon mehrere Jahrzehnte her ist, doch seine Beobachtungen noch immer anzutreffen sind? Daß mir seine Sprache gut gefällt, doch daß ich das „Persönliche“ etwas vermisse, es etwas zu journalistisch finde? Wohl kaum der richtige Ort, um ein solches Gespräch zu führen. Doch vielleicht freut er sich? Wäre sicherlich auch eine Úberraschung für ihn. Wie das Gespräch anfangen? – Herr Koeppen, ihr Buch hat mich hierher geführt. Ich habe es mitgenommen, weil jemand anderes ihr erstes Werk auf seine Amerikareise mitgenommen hat. Und da der Titel dieses Buches mich mit diesem Menschen verbindet, habe ich einen anderen Titel gewählt, damit er mich mit meiner, aber auch seiner Reise verbindet. Andere Erinnerungsstücke wären zu direkt, zu vergeblich. – Sicherlich würde ich das nicht sagen, ob so umständlich oder einfacher. Eher würde ich eine glaubwürdigere, aber falsche Entschuldigung stammeln. Ich mache mir Vorwürfe, finde mich naiv und aufdringlich. Dennoch finde ich wieder den richtigen Weg. Kaum haben wir herzklopfend vor dem Haus angehalten, kommt Frau Koeppen uns im Bikini entgegen. Zwei Kinder halten sich mißtrauisch im Hintergrund. – Ob sie mir helfen könne. – Wir sind auf der Durchfahrt – ausgerechnetauf diesem holprigen Wurzelweg … – und haben ihren Namen auf dem Schild gesehen. Vielleicht kennt sie den deutschen Schriftsteller Wolfgang Koeppen? – Nein, den kenne sie nicht. Aber aus Deutschland komme ihre Familie schon. Allerdings hätten sie schon lange keinen Kontakt mehr miteinander. Es tue ihr leid, daß sie mir nicht weiterhelfen könne. Auf Wiedersehen. – Ich bin erleichtert, und beschämt.